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Einen Abend im Konsens

Spiekeroog – Zum Nachdenken, Zuhören und Diskutieren lud die katholische Seelsorge am Meer in der vergangenen Woche Politikinteressierte ein.


Prof. Dr. Karl-Heinz Breier
Der Politikwissenschaftler der Universität Vechta Professor Dr. Karl-Heinz Breier beleuchtete die These mit Fragezeichen „Europa ohne Wertefundament?“ von verschiedensten Blickwinkeln. Auf Breiers Konto gehen sieben Publikationen, von denen er 2015 zuletzt als Mitautor das Lehrbuch „Grundbegriffe der Politik“ veröffentlichte. „Ich bin das erste Mal auf Spiekeroog. Ja, ich oute mich!“, gestand er achselzuckend und mit entschuldig wirkendem Lächeln im Abendlicht in St. Peter.

So schnell wie die Beichte über Breiers Lippen kam, wandte er sich auch schon den ernsteren Themen zu. Immer wieder betonte er den wichtigsten Grundsatz der Politik: „Der mundartige Teil muss zur Vernunft stehen“. Denn wenn dem nicht so ist und verbale Äußerungen von der unberechenbaren Leidenschaft geleitet werden, kommt es schnell zu egozentrischem Handeln und schlimmer noch: bei Repräsentanten der Politik zur Korruption! Eine Frau mittleren Alters unter den Zuhörern in der Zeltdachkirche gab zu, froh zu sein, dass es momentan wenige Volksabstimmungen gäbe, weil sich der Großteil der Staatsbürger nicht mit Köpfchen, sondern mit leidenschaftlichen Gefühlen wie Wut und Angst zum Wahllokal begeben würde. Daraufhin bemängelte ein älterer Herr die Aussagekraft einer Volksabstimmung, bei der sich nicht mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Breier warf ein, dass Volksabstimmungen niemals die Meinung des Volks widerspiegeln weil es „das Volk“ als solches gar nicht gibt. Das Volk verglich er mit einem Otto-Normalverbraucher der zur Autowerkstatt geht, um den Mechaniker zu sagen, dass der Motor kaputt sei. Tatsächlich wäre aber nicht der Motor als Gesamtes nicht in Ordnung, sondern eines seiner unzähligen Einzelteile. Da niemals jeder Staatsbürger und jede Staatsbürgerin sich dazu verpflichtet sieht, das Wahlrecht bei Wort zu nehmen, repräsentieren sogenannte „Volksabstimmungen“ immer nur die Meinung der Wahlbeteiligten – der Einzelteile, nicht die des Volkes – des Motors. Breier erteilte in diesem Zusammenhang auch einer aus dem Publikum ins Spiel gebrachten Wahlpflicht eine klare Absage.

Im Laufe des Abends wurde sich auch nach Amerikas Politik erkundigt und wie es sein kann, dass Kandidaten wie Trump demnächst als Staatsoberhaupt im Weißen Haus einziehen könnten. Breier bedauerte die „Entfernung vom Gründungsgeist der Vereinigten Staaten“, die nach einer Reform schreien würde. An der Spitze der Politik sollten immer diejenigen sitzen, die nicht nur für die Politik leben sondern auch von der Politik leben: „Das ist der beste Repräsentant“, idealisiert der Erforscher der didaktischen Grundlagen moderner Bürgerbildung. Europäische und westliche Werte wie die Unantastbarkeit, Gleichberechtigung, Vielfalt, Gerechtigkeit, Vernunft, Freiheit, Anerkennung, Mitbestimmung und Selbstbestimmung fielen immer wieder von dem Sozialwissenschaftler und den zum Mitreden angeregten Politikinteressierten. Europa, eine Vereinigung von 27 Mitgliedsstaaten, die gut 500 Millionen Staatsbürger zählt, hat demnach sehr wohl Werte, die jedoch keineswegs fundamental sind, wenn man nicht für sie einsteht. So dürfe man nach Auffassung des Referenten nie den Gründungsgrund Europas aus den Augen verlieren. Aber laut Breier auch nicht auf der Stelle stehen bleiben, sondern bestenfalls weitere Gründe, die für diese Vereinigung sprechen, finden und beherzigen. Sichtbar im Konsens mit dem Gastgeber verließen die Zuhörer schon im Dunkeln die Wittdün Richtung Dorf.

Für den Spiekerooger Inselboten: Rike Sauer

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